Costa Rica - darum ist Costa Rica das wahre Urlaubsparadies | STERN.de

2023-02-22 17:24:50 By : Ms. Emily xie

Ich liege in der Hängematte auf der Terrasse der Selva Bananito Lodge, elf Kilometer von der Karibikküste landeinwärts, und erlebe ein Naturschauspiel. Mit dem ersten Licht gewinnen Bäume und Buschwerk an Konturen. Noch gibt sich die frühmorgendliche Welt in reinem Schwarz-weiß, Wolkenschwaden verschleiern den Horizont.

In der Nähe ruft ein Tukan. Nach einer Weile antwortet ein entfernter Vogel, eine Zwiesprache setzt ein. Mit der Dämmerung kommt Farbe ins Bild, das für Costa Rica dominierende Grün in all seinen Schattierungen. Mit einem Male werden die Baumblätter plastisch, die Landschaft erhält ihre dritte Dimension zurück. Auch die Wolken verflüchtigen sich und geben den Blick frei auf die bewaldeten Muchilla-Berge. 

Der Tagesanbruch im Regenwald hat etwas Überwältigendes: eine geheimnisvolle Mischung aus Stille und Tierstimmen. Nach einer Stunde kommen die ersten Sonnenstrahlen. Das Grün beginnt zu leuchten. Die ersten Kolibris sind unterwegs und flattern wie Schmetterlinge von Blüte zu Blüte.

"Unser Luxus ist das einfache Leben", sagt Jürgen Stein, der die Lodge mit ihren Bungalows auf dem 850 Hektar großen Gelände errichtet hat. Zusammen mit seiner Schwester Sofia überzeugte er 1994 den Vater, auf weiteren Holzeinschlag zu verzichten und neben Viehwirtschaft und organischem Bananenanbau auf Öko-Tourismus zu setzen.

Der größte Teil des ehemaligen Farmgeländes bleibt heute sich selbst überlassen. "Nach 80 Jahren regeneriert sich der Wald, in den der Mensch eingegriffen hat", erzählt Jürgen. Er setzt auf aktiven Naturschutz und nachhaltigen Tourismus. Die Gruppen, die seine Guides durch den Regenwald führen, bestehen aus maximal sechs Personen.

Ich schlüpfe in die Gummistiefel und laufe mit Guide Anselmo und drei weiteren Gästen in die Wildnis hinein. Auf schlammigen Pfaden geht es bergauf, eine bei dem feucht-heißen Klima schweißtreibende Angelegenheit. Mein T-Shirt klebt sofort an der Haut.

Mit jedem Schritt wechselt die Szenerie dieses botanischen Urwaldes. Am Boden wimmelt es von Blattschneiderameisen. Auf einem vermoosten Baumstamm sitzt ein feuerwehrroter Mini-Frosch, unentwegt zirpen die Zikaden. Über mir wölbt sich die ewig grüne Kuppel mit ihren kerzengeraden Stämmen hoch wie Kirchensäulen, umrankt von Lianensträngen, dick wie deutsche Eichen. Alles scheint miteinander verwoben und verwachsen zu sein.

Manche Blätter sind große wie Regenschirme. Besonders die großen Zedern, Mahagoni- und Kapokbäume, deren Stämme mehrere Meter Durchmesser haben, beeindrucken mich. Immer wieder reiße ich den Kopf in den Nacken und kann die Wipfel und den Himmel kaum sehen. "Wenn es regnet, dauert es 20 Minuten, bis die ersten Tropfen hier unten ankommen", sagt Anselmo.

Nach drei Stunden legen wir eine Pause auf einer der beiden Plattformen ein, die in die Tiefe des Regenwaldes gebaut wurden. Auch hier kann man übernachten, geschützt nur vom Moskitonetz unter einem Wellblechdach. Eine heile Welt wie am sechsten Schöpfungstag?

Nein, denn "noch immer werden illegal Bäume gefällt", weiß Jürgen zu berichten. Und Wilderer machen Jagd auf Affen, Agutis und Wildkatzen. Woher er das weiß? "Seit fünf Jahren haben wir an mehreren Stellen im Wald Kameras installiert, die auf Bewegungen reagieren." Da tappen nicht nur Tiere in die Falle, sondern auch unerwünschte Eindringlinge. "Doch durch unsere Präsenz sind wir für die Wilderer unkalkulierbar geworden."

Das Erstaunliche: Die Wildkatzen sind zurück. Durch die Auswertung der Fotos und Clips wissen die Naturschützer, dass Puma, Ozelot und Jaguar hier wieder ihr Revier haben und sich vermehren. "Fleckchen" nennt Jürgen liebevoll ein Jaguarjunges. Und auf dem Dach der einen Plattform hatte sich kürzlich eine der ansonsten menschenscheuen und nachtaktiven Wildkatzen bequem gemacht, nachdem erst wenige Stunden zuvor eine Besuchergruppe die Station verlassen hatte, wie Fotos beweisen.

Nur eine Luftlinie von 135 Kilometern trennt an der schmalsten Stelle beide Ozeane. Doch dazwischen erhebt sich die fast 4000 Metern Gebirgskette mit dem omnipräsenten Vulkan Arenal. Gerade erst wieder für Besucher limitiert zugänglich ist der Vulkan Poás gleich nördlich von San José, der zuletzt im April 2017 ausbrach. Ebenfalls führt eine Straße auf den 3432 Meter hohen Vulkan Irazú im Süden der Hauptstadt.

Was mich wundert: Anders als in den Alpen, wo die Baumgrenze bei 2000 Metern angesiedelt ist, sprießt hier noch in 3000 Metern Höhe das Grün. Auch lässt sich so mancher Gipfel bequem mit dem Auto erreichen. Am Irazú windet sich die Landstraße durch Bergwald, satte Wiesen mit Milchkühen und Feldern, auf denen gerade Zwiebeln geerntet werden, und durch Nebelbänke bis zum Parkplatz neben dem Gipfel.

Oben erwarten mich kräftige Winde und ein Doppelkrater in einer aschgrauen Mondlandschaft, der Diego de la Haya und der Crater Principal. Aus der Tiefe wehen Schwefeldämpfe hinauf. Obwohl es schon nachmittags ist, verziehen sich für einen Augenblick die Wolken und geben den Blick frei auf den giftgrünen See des Hauptkraters. 300 tiefer Meter klafft das Loch des ein Kilometer breiten Schlunds, das wie ein Auge des Erdinnern auf mich wirkt. Bloß nicht da reinfallen.

Der Name des Vulkans Irazú entstand durch eine Verballhornung des indianischen Namens "Histaru" - der "Berg des Donners", so lautet die wörtliche Übersetzung. Bei gutem Wetter soll man von hier aus beide Ozeane sehen können. Doch schon schieben sich wieder Wolkenbänke über den Krater und versperren die Sicht.

Ein Viertel des Landes steht unter Naturschutz, die Hälfte davon in 28 Nationalparks, mehr als in jedem anderen Land der Erde. Das war nicht immer so. Denn von Beginn der spanischen Kolonialzeit bis in die 1980er Jahre wurden Regenwaldgebiete zerstört, zugunsten von Viehweiden, Ananas-, Bananen- und Kaffeeplantagen.

Erst durch die konsequente Wiederaufforstungspolitik und die "Initiative Frieden mit der Natur" des Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Óscar Arias Sánchez gelang es, den Baumbestand auf inzwischen 51 Prozent zu erhöhen. Zum 200. Jahrestag der Unabhängigkeit von Spanien im Jahre 2021 hat sich das Land viel vorgenommen. Bis dahin will es eine ausgeglichene Bilanz beim Ausstoß von Kohlendioxid erreichen. Schon jetzt wird der elektrische Strom fast ausschließlich aus regenerativen Quellen erzeugt, mit Wasser-, Wind- und Solarenergie.

Was mich am Land neben der Natur fasziniert: Costa Rica hat früh das Frauenwahlrecht sowie Bürgerrechte für die schwarze Bevölkerung eingeführt und bereits 1949 sein Militär abgeschafft. Das Land ist ein gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn die Gelder des Verteidigungshaushaltes in Bildung und Gesundheitswesen investiert werden: mehr politische Stabilität, weniger Kriminalität, gerade auch im Vergleich zu den Nachbarländern. Die Einwohner, die Ticos, sind auf diese Entwicklung stolz und schätzen die Neutralität ihres Landes.

Auf der Ostseite grenzt das Land an das Karibische Meer, eine nur knapp 200 Kilometer lange, von Palmen gesäumte Küstenlinie. Ungefähr in der Mitte liegt Puerto Limón, die wichtigste Hafenstadt, an deren Kaianlagen die Kreuzfahrt- und Frachtschiffe anlegen, der Hauptumschlagplatz für die Container mit Tonnen von Bananen und Ananas.

Direkt vor Puerto Limón liegt die Insel Uvita. An den Ufern des knapp ein Quadratkilometer großen und heute Isla Quiribrí genannte Eilands legte 1502 die Flotte von Christoph Columbus an. Der Entdecker war auf seiner vierten und letzten Amerikareise an der Küste Mittelamerikas entlanggesegelt und hatte dem Landstrich aufgrund der opulenten Kleidung seiner ursprünglichen Bewohner den Namen Costa Rica, reiche Küste, gegeben. 

Doch die Hoffnung der Konquistadoren auf schnelle Goldfunde und Reichtum erwiesen sich als eine Wunschvorstellung. Auch war die Vegetation der Ostküste so undurchdringlich, dass die Kolonialisierung durch spanische Truppen und Missionare erst Jahrzehnte später über die Westküste erfolgte.

Heute noch bietet der nördliche Küstenabschnitt unberührte Natur im Refugio Nacional de Vida Silvestre Barra del Colorado und im Parque Nacional Tortuguero. Letzterer ist für seine Sumpfgebiete und Eiablageplätze der Meeresschildkröten bekannt und kann nur per Boot oder mit dem Flugzeug erreicht werden.

Weiter im Süden, bei dem Örtchen Puerto Viejo, wo es in den Monaten September und Oktober weniger regnet, herrscht am Strand Karibik-Atmosphäre. Am Chiquita Beach spielen Kinder im weißen Sand, balgen sich herrenlose Hunde und treffen angereiste Hipster auf alteingesessene Hippies.

Im Schatten der Palmen und Mangroven sitzen die Eltern, flechten Rastazöpfe oder balancieren auf der Slackline. Viele, die hier wohnen, haben Vorfahren aus Jamaika.

Wer heute über den modernen Highway 27 von San José nach Westen fährt und schon nach 80 Kilometern den kleinen Parque Nacional Carara erreicht hat, kann sich kaum vorstellen, wie beschwerlich das Reisen vor gut 20 Jahren in der damals noch unzugänglichen mittleren und südlichen Pazifikküste zuging.

"Wir mussten mit dem Geländewagen hüfttiefe Flüsse durchqueren", erzählt Andreas Steiner, dessen Eltern in den frühen 1990er Jahren aus Salzburg nach Costa Rica kamen und vor 14 Jahren das Hotel Cristal Ballena bei Uvita eröffneten.

Damals waren die Straßen noch nicht asphaltiert. Allein in diesem Jahrtausend hat Costa Rica einen enormen Entwicklungsschub durchgemacht, auch dank des Tourismus, der sich heute zur wichtigsten Einkommensquelle noch vor der Landwirtschaft entwickelt hat.

Uvita ist ein gutes Beispiel, wie die Gratwanderung zwischen Öko-Tourismus und gleichzeitiger Umweltbelastung gemeistert wird. In dem Ort starten die Bootstouren zum Parco Nacional Marino Ballena, der 16 Kilometer weit ins Meer reicht.

In den Wintermonaten kommen die Buckelwale zum Paaren und um ihren Nachwuchs auf die Welt zu bringen. "Die Gewässer sind warm und flach", erklärt Risto, mit dem ich hinaus aufs Meer fahren will. "Außerdem gibt es hier keine großen Haie und Orcas."

Vom Strand aus waten wir barfuß und nur mit Badehose bekleidet durch die schäumende Brandung und klettern ins Boot. Nach einer halben Stunde mit dem Außenborder Richtung Süden entdecken wir eine Fontäne zwischen uns und der Küste und steuern in deren Richtung.

Wir reduzieren das Tempo, der Kapitän stellt den Motor ab, und minutenlang dümpeln wir in der ruhigen See. In einiger Entfernung sehe ich einen dunklen Schatten unter der Wasseroberfläche, der immer größer wird und noch einen kleineren daneben. Dann tauchen beide Körper für einen Augenblick nur mit ihren Blaslöchern auf, pusten den feuchten Blas in die Luft, so kräftig und mächtig, dass der Wind die Tropfen zu uns hinüberweht und unsere Gesichter benetzt. Es folgt ein kurzer Moment, in dem auch die markante Finne, die den Buckelwalen ihren Namen gab, zu sehen ist.

Das Boot dreht bei und tuckert langsam und mit Abstand parallel zur Schwimmbahn der Tiere: Es handelt sich um zwei ausgewachsene Buckelwale und ein Junges. Bald stellt sich ein Rhythmus ein, der auf mich enorm beruhigend wirkt: auftauchen, Blas und Finne zeigen, untertauchen. Nur einmal klatscht auch die charakteristische Schwanzflosse aufs Wasser.

Nach 20 Minuten ist Schluss, denn die Walbeobachtung ist stark reglementiert. Nie mehr als drei Boote, nie näher als 100 Meter, nie länger als 30 Minuten. Über die Einhaltung der Rahmenbedingungen wachen die Ranger, die aus der Distanz das Treiben der Whale Watcher beobachten.

In dieser Bucht treffen sich Wale aus ganz unterschiedlichen Regionen. In der Zeit zwischen Dezember und April kommen die bis zu 15 Meter langen Säugetiere aus den arktischen Gewässern Alaskas und Kaliforniens hierher. Ihre Artgenossen aus der Antarktis schwimmen über Tausende von Kilometern nach Norden, um sich hier zwischen Juli und November zu tummeln. Ein natürliches Ritual. Seit Jahrtausenden sind die Gewässer vor Costa Rica für die Wale ein magischer Anziehungspunkt.

Aber schon nach 20 Minuten zieht der Wolkenbruch weiter. Aus den Baumkronen verflüchtigen sich die letzten Wolkenfetzen. Auf der anderen Seite der Terrasse wird die Sicht frei auf den Océano Pacífico. Wir werden Zeugen eines klassischen Sonnenuntergangs, wie der Sonnenball hinter den Horizont abtaucht. Ein Phänomen, das man nur an der Westküste Costa Ricas erleben kann. Denn an der Karibikküste sind die Sonnenaufgänge die schönsten. 

Jeden Abend bin ich verwundert, wie schnell es dunkel wird. Schon vor 18 Uhr ist es stockfinster. Jetzt schwärmen Hunderte von Glühwürmchen aus. Die Bedienung des Hotels zündet Kerzen an und serviert die nächste Runde Drinks mit den zwei Worten, die jeder Reisende im Land mehrmals am Tag von den Ticos zur Begrüßung oder zum Abschied hört: "Pura Vida."

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