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2023-02-22 16:21:06 By : Ms. Cassie Duan

Susanne Ospelkaus staunt immer wieder, wie faszinierend das Leben ist. Die Idee zu ihrem neuen Buch entstand aus Gesprächen mit pensionierten Krankenschwestern des Bayrischen Roten Kreuzes.

"Die Gewandnadel" von Susanne Ospelkaus ist anrührend und packend zugleich: Der Roman spannt einen Bogen vom Wirken einer Rotkreuzschwester an der Afrikafront bis zu ihrer Gegenwart im Pflegeheim. Releaseparty ist am Samstag, 22. Oktober.

Junger Mann trifft alte Frau. Und während sich die ergreifende Handlung entwickelt, so spannend wie ein Abenteuerroman, geht es um Liebe, Identität und die gewaltige Bedeutung des aktiven Zuhörens. Aufmerksame Kommunikation, heißt es, sei der Schlüssel zu allem. So auch in "Die Gewandnadel" von Susanne Ospelkaus aus Zorneding, die nun zu einer Buch-Releaseparty ins Restaurant Limone einlädt.

In dem Roman entfaltet sich auf zwei Zeit- und Erzählebenen die Geschichte von Josefine, die 1941, mit gerade einmal 19 Jahren, als Rotkreuzschwester nach Nordafrika aufbricht und rund 75 Jahre später in einem Münchner Altersheim auf einen Pfleger trifft, der ihr Leben verändert. Die Seniorin ist tief in ihrer eigenen Welt versunken, der Zugang scheint schwierig. Bis der junge Mann eine überraschende Gemeinsamkeit feststellt...

Vor rund 20 Jahren war Susanne Ospelkaus als Ergotherapeutin in einem Heim in Grünwald tätig, das damals ausschließlich Frauen bewohnten, die zuvor als Rotkreuzschwestern tätig gewesen waren. Ihre Geschichten - "irgendwann kamen sie ins Erzählen, eine nach der anderen" - ließen die Zornedinger Autorin nicht mehr los. Nun bildeten sie den Grundstock für jene Figuren, die in "Die Gewandnadel" in der fiktiven Seniorenresidenz "Herbstlust" leben.

Zum Beispiel Schwester Therese, genannt Resi, die gerne im Stechschritt spazieren geht, zur Not auch im Nachthemd. Die Demenz hat sie meist völlig im Griff, dennoch ist sie körperlich fit. Wie auch Schwester Berta, die einmal Sennerin war, und all die anderen, die gerne noch ihre alte Tracht tragen, wenn sie nach dem frühen Aufstehen eilig die Gänge des Heims durchmessen. Sie sind das Arbeiten gewohnt und halten junge Leute für verweichlicht. Junge Leute wie Pfleger Yakob, der eigentlich Yasser heißt. Seine Eltern sind aus dem libyschen Bergland eingewandert. Yakob allerdings war noch nie in ihrer Heimat.

1941: Eine Panzerkolonne fährt durch die libysche Wüste.

"Es war schon eine besondere Klientel," erinnert sich Ospelkaus an ihre Zeit im Schwesternheim. Als Beschäftigungstherapeutin habe sie zunächst Aktivitäten wie Sitztanz vorgeschlagen. Doch den Bewohnerinnen war während ihres Berufslebens wenig Zeit für Hobbys geblieben, sie wussten mit derlei Angeboten nichts anzufangen. "Also musste ich überlegen: Was freut die?" So kam Ospelkaus darauf, dass die alten Damen sich am liebsten immer noch um andere kümmern wollten. Verbände aufrollen, Handtücher zusammenlegen. Eben nützliche Dinge tun. Oder die Zeit im Garten verbringen.

Beschäftigungen dieser Art initiiert auch Yakub in der "Herbstlust", um den Tag der Seniorinnen abwechslungsreicher zu gestalten. Er ist ein Pfleger, wie ihn sich jeder wünscht: Respektvoll schaut er auf jedes Individuum, passt sein Verhalten den jeweiligen Bedürfnissen an, kommt fortwährend auf neue Ideen, um Zugang auch zu denen zu finden, die ängstlich und verwirrt sind. Er mag die, die er betreut, spürt in ihre Seelen hinein. Sein Gegenspieler Nick wiederum ist der Prototyp des gleichgültigen Unsympaths, der die Bewohnerinnen lediglich lieblos versorgt, anstatt sich für sie zu interessieren.

Bis sich eine der Schwestern mit ihrem Schicksal machtvoll ins Buch drängte, hatte die Zornedinger Autorin geplant, einen Jugendroman zu schreiben und Yakob in den Mittelpunkt der Geschichte zu stellen. Dessen beruflichen Alltag kennt Ospelkaus von ihren Einsätzen als Ergotherapeutin in Heimen und in einer Klinik, wo sie stets eng mit der Pflege zusammengearbeitet habe. Darum beschreibt sie auch im Roman die Dinge, wie sie sind, beschönigt nichts. Zu viel Arbeit, zu wenig Zeit, der Rücken schmerzt genauso wie die Knie, und alle sammeln Überstunden ohne Ende. Dennoch spürt man - auch das keine Fiktion - wie sich das Personal um Menschlichkeit bemüht. Und sich, wenn es gar nicht anders geht, den Bewohnerinnen auch in der Freizeit widmet.

Auch die Altenpflege wird in dem Roman beschrieben - vor allem das Bemühen um Menschlichkeit trotz aller Hindernisse.

Eine Dame hat es Yakob besonders angetan. Es ist Josefine, die als Ich-Erzählerin der Vergangenheitsebene zunächst ihre schillernde Biografie präsentiert. Aufgewachsen in Berlin, der Vater Filmregisseur mit großem, offenem Haus und Personal, das Mädchen, Jahrgang 1922, ein wildes Kind, das am liebsten Hosen getragen hätte. Der politischen Entwicklung steht der Vater kritisch gegenüber und schickt seine Tochter, die eigentlich Ärztin werden will, zur Münchner Schwesternschaft, um sie in Sicherheit zu bringen. So kommt eines zum andern - und plötzlich findet sich Josefine in Afrika wieder.

Zwar habe es, so Ospelkaus, eine Person mit genau dieser Biografie nie gegeben. Wohl aber hat die Autorin Frauen getroffen, für die der Dienst an der Afrikafront einst Realität war - und die die damit verbundenen Erlebnisse erst im Alter aufarbeiten konnten. Wenn überhaupt.

Zwei Tropenschwestern vor ihrem Einsatz an der Afrikafront, 1941. Zur Ausrüstung gehören Wasserbeutel, ein Medikamentenkasten und eine Tasche mit Moskitonetz.

Die Josefine aus Ospelkaus' Buch ist ebenfalls geschockt und überwältigt von dem, was ihr in diesem fremden Land widerfährt: Es gilt, mit geringsten Mitteln schwer verwundeten Soldaten zu helfen. Als dann ihr einheimischer Lieblingsfahrer des Diebstahls bezichtigt wird, stehen die Schwestern am Scheideweg. Sind sie für oder gegen den Mann?

Mehr möchte man eigentlich nicht erzählen, von dem, was sich fernab jeder Zivilisation ereignet - und klingt wie ein Märchen aus 1001 Nacht. Dass die handelnden Personen sich einer wunderbar poetischen und bildhaften Sprache bedienen, das allerdings darf keinesfalls verschwiegen werden. Und unbedingt muss gesagt werden, dass man sich atemlos von Seite zu Seite hangelt, um zu erfahren, wie sie weitergeht, diese Kriegs-, Liebes- und Abenteuergeschichte.

Ihn lediglich als exotische Erinnerungen einer alten Frau zu beschreiben, würde dem Roman jedoch Unrecht tun. Denn es geht ja um viel mehr. Nicht nur Josefine sucht nach Orientierung, sondern auch Yakob. Er weiß nicht recht, wer er ist, und auch seine Eltern, die sich perfekt assimiliert haben, scheinen ihre Identität teilweise verloren zu haben. Das Innenleben von jungen Menschen mit Migrationshintergrund kennt Ospelkaus aus der Flüchtlingsarbeit und von Kunstprojekten in Brennpunktschulen. "Immer wieder sehe ich Kinder, die wenig mit dem anfangen können, was ihren Familien wichtig ist. Sie fühlen sich deutsch, während die Eltern betonen: Du musst auch stolz sein auf unsere Wurzeln." Und während Josefines verwirrter Geist langsam immer klarer wird , weil Yakob ihr ein Gefühl der Sicherheit gibt, desto mehr kommt auch der junge Mann bei sich selbst an.

Jedem der Akteure seine ganz besondere Stimme zu geben, ist zweifelsfrei eine Kunst. Ihre entsprechenden Fähigkeiten erklärt Ospelkaus damit, dass sie sich mit antiken Texten befasst und viele Podcasts gehört habe, in der diese Kultur beschrieben wird. "Solche Sprachen orientieren sich sehr stark an der Natur. Nur wir können mit den Bildern nichts anfangen, weil wir keine Wüstenerfahrung haben." Sie selbst leider auch nicht. Zwar sei sie schon in der australischen Wüste gewesen, habe dort die Weite gesehen, geschwitzt, auf Wasser gehofft. Aber eben nicht die Wüste im Maghreb erlebt. Dennoch findet die Autorin Wege, genau diese Atmosphäre lebendig werden zu lassen - eine Welt, in der man sich in bunte Tücher hüllt, die mit Gewandnadeln befestigt werden. Im Roman erinnert eine solche Nadel Josefine an die Liebe ihres Lebens.

Wie kann man Frieden schließen mit der eigenen Vergangenheit? Darum geht es in Susanne Ospelkaus' neuem Roman.

Das Einzige, was Ospelkaus ein wenig bedauert, ist die Tatsache, dass sich die verwendeten Worte des alten Stammesdialekts Tedaga nur ganz schlecht in lateinischen Buchstaben darstellen lassen. Was die Autorin, inspiriert von Liedern und Gedichten, ins Buch hineingebracht hat, ist deshalb mehr ein "Arabisch in Lautschrift" geworden.

Bei der Releaseparty indes wird das keine Rolle spielen, denn dort soll ja in erster Linie das gesprochene Wort regieren. Susanne Ospelkaus und Schauspieler Thomas Rauscher lesen in verteilten Rollen Passagen aus dem Buch, es moderiert Radiomann Stefan Schwabeneder, für Musik sorgt eine kleine Jazzcombo aus Piano, Bass und Schlagzeug, und für die Kulinarik ist das Restaurant zuständig.

Susanne Ospelkaus: "Die Gewandnadel", Releaseparty im Restaurant Limone in Pöring am Samstag, 22. Oktober, um 19.30 Uhr. Eintritt frei. Das Buch kostet 18 Euro, ISBN: 978-3-7655-3664-9/.

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