300 Jahre ist er alt, der silk cotton tree (Ceiba pentandra). Wie Falten ragen seine Wurzeln aus dem sandigen Boden des Anwesens an der Friar’s Bay von Saint-Martin. Überraschend flach ist seine Krone. Horizontal ragen die Äste heraus. Dicht an dicht tragen sie lanzettförmige Fiederblättchen, die bis zu acht Zentimeter lang sind.
An einigen Ästen sind keine Blätter zu sehen. Dort baumeln froschgrüne, elliptische Früchte hervor. Drinnen bergen sie viele Samen, die von einer dichten Matte aus baumwollartigen Fasern umgeben sind. Diese Fasern haben dem Baum seinen Namen gegeben: Silberbaumwollbaum.
Der Baum spielt eine wichtige Rolle im spirituellen und wirtschaftlichen Leben der karibischen Völker. Und hat einer Galerie den Namen gegeben, die eine der profiliertesten Künstlerinnen von Saint-Martin betreibt: der Silk Cotton Gallery von Ruby Bute. Ihr Baum ist der größte der Insel, ihre Galerie Schaufenster ihrer Arbeiten – und von befreundeter Künstlerinnen und Künstlern.
Ruby Bute wurde am 13. Januar 1943 auf Aruba geboren. „Ich bin Steinbock! Das passt!“, sagt sie. Ihre Eltern waren aus Sint Maarten nach Aruba ausgewandert, da ihr Vater dort als Feuerwehrmann arbeiten konnte. Bereits als Kind begann sie zu malen. Später folgte ein Kunststudium.
Als junge Frau auf Aruba heiratete Bute, bekam zwei Kinder, ließ sich scheiden und folgte am 6. November 1976 ihren Eltern, die bereits nach Saint-Martin zurückgekehrt waren. Ihre neue Heimat wurde das Küstendorf Friar’s Bay in der französischen Hälfte der Karibikinsel.
Seit 1969 arbeitet Ruby Bute hauptberuflich als Malerin. Nach ihrem Umzug nach St. Martin begann sie, ihre Bilder in Geschäften auf der Insel zu verkaufen. Ihre erste Einzelausstellung hatte sie 1983. Es war die erste Ausstellung einer Frau auf Saint-Martin.
Als Kunstlehrerin unterrichtete sie Kinder im John Larmonie Center in Philipsburg in der Malerei, anderenorts auch Gefangene und Urlauber. Ab 1986 arbeitete Ruby Bute im Kulturministerium und war die erste Frau, die in den Grundschulen des Landes außerschulische Aktivitäten für Kinder organisierte.
Alle vier Jahre, erzählt sie beim Treffen auf der Veranda ihres sonnengelben Hauses, wechselt sie ihren Stil. Derzeit arbeitet sie am liebsten mit Pastellfarben. Stafetten, Leinwände, Pinsel und Farben umgeben sie. Den Tisch bedeckt eine selbst gehäkelte, luftige Decke in Regenbogenfarben.
Intensive Farben prägen auch Rubys Öl- und Acrylbilder. Im Haus und in der Galerie zeigen sie die Menschen ihrer Heimat, ihre Arbeit, ihre Kultur und ihre Küche.
„Ich male unser Erbe, um unserer Kultur Zukunft zu geben‘, sagt Ruby, die in beiden Landesteilen der Insel als grand old dame gilt, als große Dame der karibischen Kultur. „Wenn ich nicht male, wie wir leben, wird unsere Kultur vergessen. Dann verlieren wir unsere Identität, unser karibisches Leben.“
Wie wichtig diese gemalte Erinnerungsarbeit ist, zeigt sich beim Reisen über die Insel. Wind und Wetter, Stürme und Zyklone wie Irma haben das Bauerbe früherer Zeiten signifikant zerstört. Neu gebaut wird in Beton, Stahl und Glas. Holz dient nur, wenn überhaupt, noch der Verkleidung,
Von den alten karibischen Häusern mit ihren Veranden und Balkonen, Holzlattenwänden und Holzschindeldächern sind nur noch wenige Veteranen erhalten. Und auch die frühen Steinhäuser der Kolonialzeit sind nur noch hier und da erhalten. „Am besten ist unsere karibische Kultur noch in der Küche präsent“, sagt Ruby.
Ihre Bilder erzählen von Marktfrauen, die einst in Körben auf dem Kopf die Früchte trugen. Sie zeigen Landschaften, Bäume und Blüten, ihre Familie, Freunde und Feste. Und auch das bunte Treiben des Karnevals, der aus Frankreich mit der katholischen Kirche auf die Insel kam.
Sie zeigt Karnevalisten mit Federschmuck, Kostüme und Haarschmuck. Und die Musiker, die auf Instrumenten spielen, die aus alltäglichen Dingen wie einem Waschbrett oder einer Reibe bestehen.
Ihre Arbeit hat auch Irma geprägt. Ruby verarbeitete die Erfahrung mit dem zehnstündigen Zyklon, der 2017 die Insel verwüstet hatte, in ihrem Gemälde 185-Mile Winds.
2019 wurde es verschiedenen offiziellen Gebäuden in Den Haag ausgestellt, darunter in beiden Häusern der niederländischen Legislative. Irma, sagt sie, war ein kollektiver Schock. Bis heute wirkt er nach – und prägt die Arbeit auch von anderen Künstlern.
Tess Verheij vom ArtCraftCafe startete nach dem Hurrikan ihre WasteFactory. Dort verwandelt sie seitdem Abfallmaterial in Kunst. Eine ihrer Kreationen ist eine Handtasche, die aus den Seiten früherer Ausgaben der Zeitschrift Visit St. Maarten/St. Martin hergestellt wurde.
Zwischen den Leinwänden und Drucken birgt eine Vitrine einen Bilderrahmen. Ein Foto zeigt Ruby stolz jene Urkunde haltend, die daneben zu sehen ist. 2005 wurde sie von der niederländischen Königin Beatrix mit dem Oranje-Nassau-Orden geehrt.
Bereits 2004 hatte die Collectivité de Saint-Martin Ruby Bute für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.
Ruby malt nicht nur, sondern dichtet auch. In ihren Kurzgeschichten und Gedichten befasst sie sich mit Frauenthemen, insbesondere mit dem Leben afrokaribischer Frauen.
Ihr erster Gedichtband Golden Voices of S’maatin wurde 1989 vom House of Nehesi Publishers veröffentlicht. Er gilt als das erste Buch, das von einer Frau auf Saint-Martin veröffentlicht wurde.
Ihre zweite Gedichtsammlung Floral Bouquet to the Daughters of Eve folgte 1995. Sie war ein Bestseller auf der Insel – innerhalb von drei Monaten war die erste Auflage ausverkauft. Im Dezember 2021 folgte ihr dritter Gedichtband, Reflections. Schautafeln im Garten erzählen davon und stellen die grande dame der Inselkunst vor.
Ihr Atelier in Friar’s Bay ist auch ein Zufluchtsort für angehende Künstler, die unter ihrer Anleitung ihre Fähigkeiten entwickeln. Gemeinsam mit ihrer Enkelin Gerline Isaac hat sie das sip-and paint-Angebot ihrer Galerie entwickelt, das Geselligkeit, Austausch und Kunstschaffen verbindet und allen offen steht.
• Rue de Hollande, 97150 Friar’s Bay / Marigot, Saint-Martin, Tel. +590 690 61-0923, www.facebook.com, Di., Do., Sa. 11 – 17 Uhr
Keine Bezahlschranke. Sondern freies Wissen. Keine Werbung. Sondern Journalismus mit Passion. Das gefällt euch? Dann freue ich mich über eure Unterstützung. Fünf Möglichkeiten gibt es. Und auch PayPal.
Saint-Martin: eine kleine Einführung
Saint-Martin nach Irma: Street Art als Therapie
E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.
Ja, schick mir neue Artikel auf Mein Frankreich per E-Mail! Infos zum Anmeldeverfahren, Versanddienstleister, statistischer Auswertung und Widerruf findest du in meinen Datenschutzbestimmungen. Ich akzeptiere hiermit die Datenschutzbestimmungen.
Schön, dass Du meinen Frankreich-Blog gefunden hast! Jede Woche gibt’s hier Neues aus meiner zweiten Heimat. Wer ich bin? Vollblutjournalistin, Buchautorin, Bloggerin und Mutter einer tollen Tochter. Jetzt ist sie groß – und ich entdecke la belle France. Bises! Hilke
Keine Bezahlschranke. Sondern freies Wissen für alle. Keine Werbung. Sondern Journalismus mit Passion. Faktentreu und frankophil. Das gefällt Dir? Dann zeig es mit Deiner Spende.
Wir versprechen, dass wir keinen Spam versenden! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.
Prüfe deinen Posteingang oder Spam-Ordner, um dein Abonnement zu bestätigen.
Holt euch hier euer ganz persönliches Stück Frankreich ins Haus! Als Foto auf Holz, Leinwand, Glas oder Alu-Dibond, als Stickerset, Postkarte, T-Shirt oder Funartikel.
Einfach aufs Foto klicken und online bestellen über den Partnerlink. So kannst Du meine Arbeit unterstützen. Für Dich entstehen keine Mehrkosten. Merci!
Le Midi: meine Reise-Küche-Rezepte-Verführer zu Südfrankreich!
Abseits in Okzitanien: meine 50 Geheimtipps – seit Sommer 2022 in der zweiten Auflage!
Es ist Frankreichs schönster Liebesbeweis – und ein Juwel der Wende von Spätmittelalter zu früher Neuzeit: das ehemalige Kloster Brou des Augustinerordens in Bourg-en-Bresse im Département Ain. Das königliche Kloster Brou wurde zu Beginn der Renaissance […]
Das schönste Dorf Frankreichs! Über solch eine Auszeichnung freuen sich in Frankreich 172 Dörfer. In den Pyrénées-Orientales gehören vier Dörfer zum erlauchten Kreis der plus beaux villages de France: Eus, Évol, Villefranche-de-Conflent und Castelnou. Eus: […]
In Chartres offenbart sich der Geist des Mittelalters, meinte der Kunsthistoriker Émile Male. Seine in Stein gehauene Bibel gehört seit 1979 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Doch auch die alte Stadt, die rund 90 Kilometer südwestlich von Paris […]
479 Plätze gibt es in Paris. Doch nur fünf davon sind „königliche Plätze“: die Place de la Concorde, Place des Victoires, Place Dauphine, Place Vendôme. Und die Place des Vosges im Herzen des Marais. In […]
“Mein Frankreich“ ist nicht nur Titel meines Blogs, sondern auch Programm: Ich möchte möglichst viele von euch animieren, euer Frankreich vorzustellen. Mein Frankreich – was bedeutet das für euch? Diesmal verrät es Manfred Lauffs. Lauffs, […]
V.i.S.d.P. : Hilke Maunder (him) Büro Nord: Roggenbuckstieg 6 • 22453 Hamburg Büro Süd: 12, rue du Pech • 66220 Saint-Paul-de-Fenouillet Tel. D + F: +33 610 68 16 58 info@maunder.de • maunder.de
Als hauptberufliche Journalistin fühle ich mich einem Journalismus verpflichtet, der ehrlich, unabhängig und unparteiisch ist.
Keine Bezahlschranke. Sondern freies Wissen für alle. Keine Werbung. Sondern Journalismus mit Passion. Faktentreu und frankophil. Das gefällt Dir? Dann zeig es mit Deiner Spende.
© 2010 - 2022 Mein Frankreich by Hilke Maunder